Warum viele Frauen ihre Vulva nicht mögen - die Macht von Worten, Tabus & (Falsch-)Informationen

Photo by Ava Sol on Unsplash

Photo by Ava Sol on Unsplash

 

Über die eigene Anatomie wissen die meisten von uns herzlich wenig Bescheid. Besonders dann, wenn es um das weibliche Geschlechtsteil geht. Das ist wenig verwunderlich. Denn bis vor Kurzem gab es dazu nur wenige und oft auch fehlerhafte Informationen. Zudem wurde das weibliche Geschlecht und dessen Funktionen mit Worten belegt, die es abwerten und oft auch ins Lächerliche ziehen. Kein Wunder also, haben viele Frauen ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Vulva. Es ist an der Zeit, einen neuen Umgang mit ihr zu finden - in Wort und Tat.


Worte formen die Beziehung zu unserem Geschlecht

Viele Frauen haben eine ambivalente, beschämte und oft sogar ablehnende Haltung gegenüber ihrem eigenen Geschlechtsteil. Die Gründe dafür sind vielfältig. So trägt gerade auch die Wortwahl, die unsere Gesellschaft in Zusammenhang mit dem weiblichen Geschlecht gebraucht, in grossem Masse dazu bei, wie Frauen über ihr Geschlecht denken. Denn Worte kreieren Bilder.

Viele Begriffe für die weibliche Anatomie sind voller Irritation und Beschämung: es wird zum Beispiel von “Scham-Lippen” gesprochen, obwohl es da nichts gibt, wofür man sich schämen müsste. Oder es wird verallgemeinert. Zum Beispiel mit dem Wort “Scheide”, welches oft pauschal gebraucht wird, um einfach alles “da unten” zu benennen.

Doch “da unten” gibt es eine Vielfalt an Einzelheiten, die unsere Aufmerksamkeit verdient haben und darum auch einen eigenen Namen haben sollten: Vagina, Vulva, Klitoris, Venushügel usw. Wünschenswert wäre es auch, dass diese Namen angenehme und wohlwollende Assoziationen hervorzurufen. Denn es geht um nichts weniger als unser Lustzentrum.

Oder Worte wie “Schlitz”, die unserem Geschlechtsteil in keinster Weise gerecht werden. Wieso den Fokus auf den Schlitz? Wohin führt dieser Schlitz denn? Irgendwie lässt man Frau damit in der Annahme, dass da ein Durchgang ist, der Aufmerksamkeit bekommen soll und dann ist gut. Ein Durchgang hin zu “nichts”. Doch wie soll frau in Beziehung treten können mit etwas, das “nichts” ist?

Die gebrauchten Worte können auch Erwartungen bezüglich Größenverhältnisse schüren. Wie etwa bei den Vulva Lippen, die in kleine und grosse Lippen aufgeteilt. Das suggeriert, dass die kleinen Lippen sich unter den grossen Lippen schön adrett “verstecken” sollten, weil sie ja eben kleiner sind. Dies entspricht jedoch nicht der Realität. Bei ganz vielen Frauen ist die “kleine” Lippe um ein vielfaches grösser, als die “grosse” Lippe. Viel besser ist die Aufteilung in äussere und innere Vulva Lippen.

Überhaupt glauben ganz viele Frauen, dass es eine “richtige Art” gibt, wie eine Vulva aussehen sollte. Doch Vulven sind so unterschiedlich wie die Frauen zu denen sie gehören. Vulven kommen in allen Formen, Farben und Grössen.

Fazit: die Bilder, die durch schlecht gewählte Wörter in unseren Köpfen entstehen, sind irreführend und bewirken, dass ganz viele Frauen das Gefühl haben, mit ihrem Geschlecht stimme etwas nicht. Sie glauben, ihr Geschlecht sei nicht normal.

Schluss mit dem Versteckspiel

Doch nicht nur unpassende Worte, auch fehlende oder falsche Informationen führen dazu, dass ganz viele Frauen ein verzerrtes Bild ihres Geschlechts haben. 

Ein paar Beispiele dazu:

  • Obwohl die Klitoris schon lange bekannt war und auch in der Wissenschaft untersucht und diskutiert wurde, verschwand sie 1913 plötzlich wieder aus den Anatomie-Standardwerken. Es dauerte danach über 80 Jahre bis sie 1998 “wiederentdeckt” wurde.

  • Bis heute wachsen viele Mädchen im Glauben auf, dass ihr Jungfernhäutchen, ein Häutchen ist, das den Scheideneingang zudeckt und beim ersten Sex reissen wird. Dadurch erwarten viele Mädchen, dass der Sex beim ersten Mal Schmerzen verursachen wird. Oder sie haben Angst, dass man sehen kann, dass sie bereits Sex hatten.

Die Klitoris ist das Epizentrum der weiblichen Lust und somit auch Quelle der weiblichen Kraft und Selbstsicherheit. In einer patriarchalisch regierten Welt eine Bedrohung, die es seit jeher einzudämmen gilt. So wurde die Klitoris über Jahrhunderte hinweg nicht nur ignoriert oder lächerlich gemacht (bis heute ist für viele ein “klitoraler” Orgasmus weniger wert als ein “vaginaler” Orgasmus), sondern sie wird bis heute in vielen Kulturkreisen auch verstümmelt. 

Immer noch kursieren auch bei uns Lehrmittel, die die Klitoris nicht oder mangelhaft abbilden. Ganz im Gegensatz zum Penis, der sehr gut erforscht, dokumentiert und illustriert ist. Dabei steht die Klitoris dem Penis in nichts nach - weder in der Grösse noch in der Erregungsfähigkeit - und darf deshalb zu Recht “weiblicher Penis” genannt werden. 

Ich wünschte mir, dass die Klitoris endlich die gleiche Beachtung und Achtung bekommt wie der Penis. Und dass wir Frauen lernen, unser Geschlecht mit dem gleichen Stolz und Unbeschwertheit zu tragen wie die Männer ihren Penis. 

Um dahin zu kommen, brauchen wir Frauen endlich ein realistisches Bild von unserem Geschlecht. Nicht eines, das von Scham, Pathologisierung, Falschinformation, Pornobildern oder wechselnden Mode-Normen geprägt ist. 

Es ist darum an der Zeit, dass wir anfangen, unsere Vulven kennenzulernen, indem wir sie anschauen. Und nicht nur unsere. Auch die von anderen. Denn je öfters wir eine echte Vulva sehen, desto mehr gewöhnen wir uns daran. Und je mehr Vulven wir sehen - ohne Photoshop oder im Pornosetting -  desto mehr können wir erkennen wie gross die Vielfalt an Vulven ist. Jede von ihnen einzigartig. Jede anders in Form und Farbe. Jede einzelne wunderschön…..und jede absolut NORMAL.


Kunstprojekte, die die Vielfalt von Vulven zeigen:

The Vulva Gallery

The Great Wall Of Vaginas

Bücher mit Bildern von Vulven:

Womanhood: the bare reality by Laura Dodsworth

Pussy Portraits

Doku-Filme mit guter und akkurater Information zum Vulva, Vagina & Klitoris:

Vulva und Vagina – Neue Einblicke in die weibliche Lust

Die Klitoris – die grosse Unbekannte