Was mich diese Woche beschäftigt: Das Dilemma, das Müttern die Kraft raubt

Photo by Ava Sol on Unsplash

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In meinem Umfeld ist seit Wochen eine Müdigkeit und Resignation spürbar wie noch nie. Durchs Band bei allen - egal, welcher Berufsgruppe sie angehören. Doch eine Gruppe sticht für mich besonders heraus. Vielleicht auch, weil ich selbst dazu gehöre. Es sind die Mütter. Viele waren schon vor der Pandemie am Limit. Nun stehen etliche emotional und körperlich vor dem Burnout. Meine ganz persönliche Analyse des Dilemmas, in dem wir Mütter - nicht erst seit der Pandemie - stecken, und was wir dagegen tun können.


Mütter brauchen mehr als Blumen und Pralinen

Als ich am Sonntag dank Valentinstag auf Social Media gefühlt nichts mehr anderes als Fotos von geschenkten Blumen und Pralinen sah, platzte mir irgendwann der Kragen. Nicht, dass ich es nicht schön fände, dass Menschen sich gegenseitig ihre Liebe bekunden. Versteh mich nicht falsch. Das ist wichtig und richtig. Doch ich war noch nie ein Fan davon, die Liebe an einem spezifischen Tag mit zelebrieren zu müssen. 

Nun, wo wir uns seit einem Jahr durch eine Pandemie hindurch kämpfen, empfinde ich diese bemühten Liebesbeweise als ein Affront gegen uns Mütter. Denn viele von uns stehen emotional und körperlich schon mit mehr als einem Fuss im Burnout. Blumen und Pralinen helfen uns da nicht weiter. Im Gegenteil: sie hinterlassen sogar das fahle Gefühl, dass man entweder nicht sieht oder nicht ernst nimmt, wie es uns wirklich geht. 

Gemäss Studie - die wir eigentlich gar nicht bräuchten, weil wir es ja schon längst wissen beziehungsweise spüren - sind Frauen die grössten Verlierer der Pandemie. In ganz besonderem Masse die Mütter, die mit 80 Prozent überdurchschnittlich oft die Mehrfachbelastung verursacht durch Homeschooling, Ausfall von ausserschulischen Kinderaktivitäten sowie Quarantänen und Isolationen übernehmen. 

Care-Givers und Over-Givers

Die primären Care-Givers sind nach wie vor wir Mütter. Meist sind wir auch noch Over-Givers. Was das heisst? Ganz einfach: wir Mütter geben oft mehr, als uns eigentlich gut tut. Wir geben immer und ständig, weil uns niemand beigebracht hat, Grenzen zu setzen und Nein zu sagen. Wir geben, weil nie jemand mit uns darüber gesprochen hat, was die Risiken von “zu viel geben” sind. Die einzige Botschaft, die wir gehört haben seit wir kleine Mädchen waren, ist: “Sei nicht egoistisch. Sei dankbar. Kümmere dich um die Bedürfnisse deiner Mitmenschen.” 

Die Psychologie des Over-Givings ist perfide. Over-Giving gibt sich als Tugend aus. Doch das ist es nicht. Denn auch das Geben - wie jede andere Stärke - wird zur Schwäche, wenn sie übertrieben wird. Doch diese Message, die auch heute noch die meisten Mädchen mit auf den Weg bekommen, ist genau umgekehrt: es ist nicht nur edel, Bedürfnisse von anderen zu stillen, sondern ganz klar die Aufgabe und Erwartung an das weibliche Geschlecht. Du bist glücklich, wenn die anderen glücklich sind.

Das Dilemma

Wenn wir nun, die auf over-giving erzogenen Frauen, Mütter werden, kommen wir in ein unauflösbares Dilemma. Denn in einer Familie gibt es immer ungestillte Bedürfnisse. Und auch die To-Do-Liste nimmt kein Ende. Seit der Pandemie hat sich diese Situation für die allermeistn noch verschärft. Und so sind viele von uns ständig am Rotieren zwischen Bedürfnissen von anderen und endlosen Tasks, die wir mit einem hohen Anspruch an uns selbst nicht nur zuverlässig, sondern auch perfekt und zu jedermanns Anspruch erledigen wollen.

Könnten wir Mütter angemessen Nein sagen und Grenzen setzen, wäre alles halb so wild. Doch dies ist für viele von uns schwer bis unmöglich. Denn hinter jedem Nein, hinter jeder Grenze, die wir setzen, lauert das schlechte Gewissen - der ständige Begleiter jedes Over-Givers.

Und so versuchen wir Mütter immer noch mehr zu verzichten, damit möglichst alle anderen satt werden. Immer in der Hoffnung, dass wir es irgendwie schaffen. Obwohl wir längst spüren, dass unsere Kräfte schwinden. Doch Ausfallen können wir uns nicht erlauben, da würden wir ja alle um uns herum im Stich lassen.

Was wir Mütter wirklich brauchen

Darum meine Bitte an alle, die uns Mütter lieben: natürlich freuen wir uns über Blumen und Pralinen. Doch was wir vielmehr brauchen, sind Menschen, die uns in unserem Alltag entlasten. Denn zu tun gibt es immer etwas. Also packt ungefragt mit an. 

Und dann unterstützt uns dabei, aus der kräfteraubenden Rolle der Over-Givers auszusteigen. Alleine schaffen wir das nicht. Erinnert uns an die Sauerstoff-Regel im Flugzeug, die besagt, dass man zuerst die eigene Sauerstoffmaske anzieht, bevor man anderen dabei hilft. Denn wir Mütter leben oft in der irrigen Annahme, dass wir selbst keinen Sauerstoff brauchen.

Ermutigt uns, Grenzen zu setzen und Nein zu sagen. Nehmt uns in den Arm, wenn wir danach vom schlechten Gewissen geplagt werden, weil wir mutig waren und uns abgegrenzt haben. Sagt uns, dass ihr stolz auf uns seid. Versichert uns, dass wir gute Mütter sind, auch wenn wir zu unseren eigenen Bedürfnissen schauen. Sagt uns, dass ihr mit uns steht und weitergeht - Seite an Seite - und uns nicht einfach fallen lasst. Denn das ist unsere grösste Angst, dass man uns nicht mehr liebt, wenn wir anfangen, uns wirklich abzugrenzen um gut für uns selbst zu sorgen.