Die Wahrheit über Eva oder wie die Kirche den Frauen die Lust raubte

 

Warum fühlen sich so viele Frauen falsch, kaputt, unsicher und unter Druck, wenn es um ihre Sexualität und Lust geht? Auf diese Frage liefert das Buch „Die Wahrheit über Eva“ geschichtlich fundierte Antworten, die zeigen, dass das Problem nicht die Frauen sind. Die Autoren Carel van Schaik und Kai Michel nehmen die Leser:innen mit auf eine Reise durch zwei Millionen Jahre Menschheitsgeschichte und zeigen, dass die Geschichte der weiblichen Sexualität eine Geschichte von Kontrolle, Unterdrückung und Mythenbildung ist. In der Mitte des Geschehens steht die christliche Kirche Europas, welche die weibliche Lust verteufelte und systematisch verfolgte - mit Auswirkungen, die bis in die heutige Zeit reichen.


Der Kampf der Kirche gegen die weibliche Sexualität

Van Schaik und Michel zeigen eindrücklich, wie die katholisch- christliche Kirche während über 2000 Jahre das Moralverständnis Europas prägte. Der Geist des Menschen wurde als Ideal angesehen, während das Fleisch, also der Körper, als niedrig, animalisch, sündhaft und somit kontrollbedürftig galt.

Besonders die Sexualität galt als gefährlich - als Einfallstor für das Böse - und wurde zum Feind erklärt, der bekämpft werden musste. Im Kern richtete sich dieser „Kampf gegen das Böse“ jedoch gegen die Frauen. Der weibliche Körper wurde zur Quelle der Verführung stilisiert, die den Mann in Versuchung führt und ihn so vom rechten Weg abbringt.

Diese Verteufelung der weiblichen Sexualität hatte massive Auswirkungen: Frauen wurden auf ihre Rolle als Mütter und Ehefrauen reduziert, ihre Lust galt als verdächtig, ihre körperliche Autonomie wurde beschnitten. Die Kirche kontrollierte nicht nur den Körper, sondern auch den Geist der Frauen, indem sie ihnen Schuldgefühle einflösste und sie dazu brachte, eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken.

Die drei Rollen für Frauen: Heilige, Hure, Verführerin

Über viele Jahrhunderte hinweg gab es für Frauen im christlichen Europa im Grunde nur drei gesellschaftlich akzeptierte Rollen:

  • Die Heilige: Verkörpert durch die Jungfrau Maria, das Ideal der Reinheit, Demut und völligen Enthaltsamkeit. Sie steht für die Frau, die Sexualität meidet und damit als moralisch überlegen gilt. Ihre Rolle ist die der Mutter, nicht der Liebenden.

  • Die Hure: Symbolisiert durch Maria Magdalena, die reuige Sünderin. Sie steht für die Frau, die der Lust verfällt, aber erst dann gesellschaftliche Anerkennung findet, als sie diese bereut und sich von ihrer Sexualität abwendet – ein ambivalentes Symbol, das Frauen bis heute verunsichert.

  • Die Verführerin: Verkörpert durch Eva, die Adam zum Sündenfall verleitete. Sie gilt als Ursprung der Sünde und Versuchung und brachte mit ihrem Handeln Leid über die Menschheit. Eva steht für Sexualität, für das Verbotene, für die Lust, die bestraft werden muss. Ihre Geschichte diente der Kirche als Begründung für die Unterordnung der Frau und die Kontrolle ihrer Sexualität. 

Weibliche Lust wird also entweder geleugnet, verteufelt oder muss bereut werden. Es gab keinen Platz für Frauen, ihre Lust selbstbestimmt zu leben. Keinen Raum für sexuelles Begehren ohne Scham.

Von der Religion zur Wissenschaft – Die Doppelmoral bleibt

Mit der Reformation und später der Aufklärung begann das kirchliche Monopol auf Moral und Sexualität zu bröckeln. Doch die patriarchalen Strukturen blieben bestehen. Sie wurden nun nicht mehr religiös, sondern naturwissenschaftlich erklärt und gerechtfertigt: 

Weiterhin galt die Frau als schwaches Geschlecht, welches von Natur aus passiv und lustlos ist. Sexualität wurde nun pathologisiert und weibliches Begehren/Lust als Ursache vielfältiger Krankheiten gesehen.

Frauen sollten weiterhin keusch bleiben, während den Männern sexuelle Abenteuer, inklusive Prostituierte, gestattet wurden, ohne gesellschaftlich Ansehen einbüssen zu müssen (‘der unzähmbare Trieb des Mannes’.) So entstand eine Doppelmoral: Weibliche Sexualität wurde pathologisiert, männliche Sexualität als normal betrachtet.

Bis heute spürbare Nachwirkungen auf die Lust der Frauen

Diese kulturellen Prägungen sind tief in unserem kollektiven Bewusstsein verankert. Auch wenn die meisten westlichen Gesellschaften heute nicht mehr offen weibliche Keuschheit und Unterordnung fordern, wirken die alten Rollenbilder subtil weiter. 

In der modernen Populärkultur wird die Frau immer noch oft entweder als Heilige, gefährliche Verführerin oder hypersexualisierte Projektion dargestellt. Weibliche Sexualität wird stets bewertet, kontrolliert und kommentiert — mal als zu viel, mal als zu wenig.

Viele Frauen spüren diese jahrhundertealte Prägung unbewusst bis heute: sie haben Schuld- und Schamgefühle rund um die Selbstbefriedigung, glauben zu begehrlich oder zu frigid zu sein oder erleben eine grosse  Unsicherheit dabei, eigene sexuelle Wünsche auszusprechen. Die Geschichte der Heiligen, Hure und Verführerin wirkt somit fort — auch wenn ihre Namen heute andere sind.

Doch die Unterdrückung der weiblichen Lust ist kein Naturgesetz wie das Buch anhand geschichtlicher Fakten detailliert zeigt. Im Gegenteil: Über Jahrtausende lebten Menschen in egalitären Gemeinschaften, in denen Frauen ihre Sexualität frei ausleben konnten. Erst mit dem Aufkommen von Landwirtschaft, Eigentum und Monotheismus wurde die weibliche Lust zum Problem erklärt und unterdrückt. Die Autoren ermutigen dazu, sich gegen diese Ungleichheit zu empören und die solidarische Beziehung der Geschlechter als evolutionäres Erfolgsgeheimnis wieder zu entdecken.

Persönliches Fazit: 

Wir wurden dank „Die Wahrheit über Eva“ nicht nur die historischen Zusammenhänge der Ungleichheit von Mann und Frau bewusst, ich fand auch eine Erklärung dafür, warum so viele Frauen bis heute ambivalente Gefühle gegenüber ihrem Körper und ihrer Lust hegen. Das sind nicht einfach private Einzelschicksale, sondern ist ein kulturelles Erbe, das wir bis heute in uns tragen - und wir Frauen waren nie das Problem.

Weibliche Lust ist weder sündig noch gefährlich, sondern ein gesunder, natürlicher und identitätsstiftender Teil unseres Frauseins. Es ist Zeit, die Rollen von Heiliger, Hure und Verführerin hinter uns lassen und mutig unsere Lust zu erforschen und zu leben – ohne Scham, Schuld oder Angst.

Quellenangabe und Leseempfehlung:

Die Wahrheit über Eva - Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern, Carel van Schaik, Kai Michel, Rowohlt Taschenbuch.

Wer verstehen möchte, wie tief die Kontrolle über die weibliche Sexualität in unserer Kultur verwurzelt ist und wie wir diese Fesseln sprengen können, sollte „Die Wahrheit über Eva“ unbedingt lesen.