Was ist es bei dir: begehren oder begehrt werden?

 

In meiner Arbeit begegne ich vielen Frauen, denen es schwer fällt eigene sexuelle Bedürfnisse und Fantasien zu formulieren. Ich höre dann Sätze wie diesen: "Mir gefällt es einfach, wenn es meinem Partner gefällt.” Eigenes körperliches Begehren zu verspüren ist vielen Frauen nicht nur fremd, es scheint ihnen oft auch nicht erstrebenswert. Warum viele Frauen wenig bis kein sexuelles Begehren verspüren und was die Monogamie damit zu tun hat, erfährst du in diesem Blog Artikel.


Die Erfindung der Monogamie

Die Kontrolle über die Sexualität der Frau ist eine der Säulen des Patriarchats. An die Stelle, wo früher - für die längste Zeit der Menschheitsgeschichte - Female Choice* die Normalität war, trat im Zuge der Patriarchalisierung die Monogamie. Institutionalisiert mit der Ehe und dem Mann als Oberhaupt dieser Verbindung. 

Die Monogamie war von Anbeginn an eine ungleiche Angelegenheit. Die Erwartung der Exklusivität galt stets nur für die Frau. 

Die Männer durften neben der Ehefrau unzählige Sexualpartnerinnen haben - solange sie keine Ehefrauen anderer Männer waren. Das wäre einer offenen Kriegserklärung gleichgekommen. 

Von den Ehe-Frauen hingegen wurde absolute sexuelle Treue gegenüber ihren Ehemännern erwartet. Die Unterwerfung unter den Ehemann war nicht nur Pflicht, sondern Gesetz und wurde mit teils drastischen Sanktionen geahndet.

Von dem Moment der Heirat an, war eine Frau deshalb nicht nur lebenslang an ihren Ehemann gebunden, sondern musste ihm auch für alle seine sexuellen Bedürfnisse zur Verfügung stehen. Welche Bedürfnisse sie hatte, war egal. Welche Grenzen sie hatte auch. Die Frau wurde zum Objekt degradiert und ihr eigenes Begehren dadurch systematisch unterdrückt.


Der Teufel lauert im Körper der Frau

Von nun an war es für eine Frau gefährlich, eigenes sexuelles Begehren zu haben. Nicht nur, dass es nicht erwünscht war und ihm keinen Raum zugestanden wurde. Nein, sichtbares, sexuelles Begehren und Lust einer Frau löste Misstrauen aus. Es galt nun gar als Zeichen eines rebellischen, zügellosen Charakters. Als ein Erbe der Ur-Sünderin Eva, die ihren ahnungslosen Mann hinterhältig verführt und damit ins Verderben gestürzt hat.

Die Sexualität der Frau wurde immer mehr zu einer gefährlichen Versuchung für den Mann hochstilisiert. Der Frauenkörper verlor damit seine Unschuld und Natürlichkeit. Plötzlich wurde er als ein Werkzeug des Teufels gesehen - dämonisiert, beschämt, abgewertet - und wurde zu  einer Bedrohung für die gesamte Christenheit sowie der gesellschaftlichen Ordnung erklärt.

Eine Frau, die nicht unter den Verdacht kommen wollte, eine Ehebrecherin oder gar Hexe zu sein, musste ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse und Regungen in homöopathische Dosen verpacken. Noch besser war es,  gleich alles wegzudrücken, was sich an sexueller Erregung bemerkbar machte.

Das körperlich-sexuelle Begehren der Frauen wurde immer mehr in ein Begehren nach “Begehrt-Werden vom Mann” umgewandelt.

Das war nicht nur die einzige Option die blieb, sondern auch überlebenswichtig. Ihr musste gefallen, was ihm gefiel. Ihr musste genügen, was ihm genügt. Dadurch verlernten die Frauen immer mehr, ihren Körper zu spüren, ihm zu vertrauen und sich in ihm wohl zu fühlen. Hier entstand die bis heute anhaltende Fixierung auf den Körper der Frau und der ungemeine Druck “schön und sexy” sein zu müssen.


Aussen emanzipiert. Innen angepasst.

Gesellschaftlich hat sich zum Glück vieles verändert. Doch nach wie vor spüren auch heutzutage noch ganz viele Frauen nicht, was ihr Körper eigentlich begehrt. Sie spüren wenig sexuelle Erregung und Lust. Sie wissen nicht, was sie begehren sollten, denn da regt sich nicht viel in ihnen drin.

Wenn Mädchen und Frauen nicht hören, dass es nicht ihre Aufgabe ist, begehrenswert zu sein, dann fixieren sie sich auf ihr Aussehen. Wenn Mädchen und Frauen nicht hören, dass sie eigenes Begehren haben und geniessen dürfen, dann verlieren sie die Verbindung zu ihrem eigenen Körper.

Wer sich über die Reaktionen von aussen definiert, weiss nicht, wo die eigenen Bedürfnisse und Grenzen sind. Wer ständig damit beschäftigt ist begehrenswert zu sein, nimmt das eigene Begehren schlecht bis gar nicht war. Der eigene Körper wird fremd und im schlimmsten Fall sogar zum Feind, den es zu bekämpfen gilt.


Begehrenswert zu sein ist nicht das Gleiche wie zu begehren.

Viele Frauen verwechseln “begehrenswert sein wollen” mit eigenem körperlichen Begehren. Doch während das eine Kraft, Kreativität und Selbstbewusstsein freisetzt, raubt das andere einem diese Dinge. 

Das Begehren nach “Begehrt-Werden” ist eine emotionale Angelegenheit, keine körperliche. Die Frau, die sich nach Begehrt-Werden sehnt, begehrt schlussendlich nicht den Körper, sondern die Anerkennung des Partners. Das gibt ihr emotionale Sicherheit. Auch das kann lustvoll und befriedigend sein. Doch es ist eine komplizierte Form des Begehrens und sie macht abhängig von einem Partner.

Eigenes körperliches Begehren zu zeigen, bedingt ein gewisses Mass an Autonomie und sexueller Selbstsicherheit.

Ich kann mich in meinem sexuellen Begehren nur zeigen, wenn ich es ertragen kann, abgelehnt zu werden in meinem Bedürfnis. Diese Fähigkeit wächst in dem Masse, wie ich mir selbst zur besten Freundin werde und mir selbst Sicherheit, Anerkennung und Vertrauen schenken kann.


Ergänzende Bemerkung: ich bin weder gegen die Monogamie noch gegen die Ehe. Ich möchte jedoch aufklären und sensibilisieren dafür, was Ursprung, Absicht und Haltung war, mit der die Ehe und mit ihr die Monogamie eingeführt wurden.

Auch wenn sich gesellschaftlich vieles verändert hat, sind wir noch lange nicht am Ziel. Gerade die Rollenerwartungen in Bezug auf die Sexualität sind nach wie vor bei den allermeisten Menschen sehr patriarchal geprägt, was ich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen tagtäglich in unseren Beratungen sehen. Nur schon, dass das ganze Thema mit so viel Scham und Tabus belegt ist zeigt, welch hoher Erwartungs- und Leistungsdruck auf diesem Thema lastet.

Mir geht es mit meiner Arbeit darum, dass wir einen aktiven Dialog führen über Sexualität und auch Geschlechterrollen. Denn nur dann können wir neue Bilder, Erwartungen und Haltungen prägen, die sich in einem anderen Umgang mit Sexualität äussern werden. Davon werden nicht nur die Frauen profitieren. Denn die Verlierer des Patriarchats sind schlussendlich alle, weil patriarchale Denkweisen und Strukturen in ihrem Kern total menschenfeindlich sind.

*Female Choice: Female Choice ist ein Fachbegriff aus der Biologie. Er beschreibt die Tatsache, dass in der Natur normalerweise die Weibchen den Zugang zum Sex kontrollieren. Das galt für die längste Zeit der Geschichte auch für die Menschen. Dann kam die Sesshaftigkeit und die Männer fingen an eine Gesellschaft zu schaffen, in der die Frauen immer mehr aus dem öffentlichen Raum verdrängt wurden und die Autonomie über ihren Körper abgeben mussten.



 

Du möchtest begehren lernen?

Gerne begleite ich dich dabei und zeige dir, wie du deinen Körper kennen und lieben lernst und ihn sexuell aufwecken kannst.

Ich unterstütze dich dabei, dir körperliches Begehren nicht nur zu erlauben, sondern vor allem auch es geniessen zu lernen.

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